inspiration 04 |
||||||
"Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, was ihr euch zu Weihnachten wünscht?" Der Sohn, der eben noch verträumt ein kleines Plastik-Auto um seinen Teller geschoben hat, ist sofort hellwach. "Ich habe sechs Wünsche", verkündet er, "Ein Fernsteuer-Auto, ein Beyblate, so groß, wie Kai einen hat, noch ein Fernsteuer-Auto, für wenn ein Freund da ist, ein Kasten mit Batterien und Licht darin, ein Formel-1 mit Aufziehmotor und ... das Sechste weiß ich gerade nicht mehr." Strahlend schaut er in die Runde. "Kann ich jetzt aufstehen?" Während er mit seinem Teller in Richtung Küche verschwindet, schaut die Tochter mit ihren großen Augen und leicht geneigtem Kopf zu ihren Eltern. "Ich habe nur einen Wunsch." Pause. Beide Eltern atmen ein und aus. Sie wissen bereits aus den Jahren zuvor, was nun kommt. "Ich möchte, dass mein Pukka lebendig wird." Ein weißer Stoffhund mit hellbraunen Flecken und gleichfarbigen, großen Ohren, nach Art der Beagle, auf dem sie nachts wie einem Kopfkissen schläft und der bisher auch alle Urlaube an ihrer Seite verbringen durfte. "Möchtest du einen richtigen Hund bekommen?", fragt die Mutter. Die Tochter richtet ihren Kopf auf. Ende des verträumten Nachdenkens. "Nein", sagt sie, "Ich will, dass mein Pukka lebendig wird. Dass er selber laufen kann und bellen." Der Vater lächelt bei der Vorstellung, wie er im Werkzeugkeller dem geliebten Stoffhund einen Elektromotor, Mechanik und ein Sprachmodul einbaut. Die Tochter scheint jedoch Gedanken lesen zu können: "Er soll es s e l b e r können. Das Bellen und Laufen. Nicht so wie der braune Hund, der den Salto machen kann, wo man erst den Knopf unten drücken muss."
Die Eltern, ratlos, wie jedes Jahr, lehnen in ihren Stühlen. Was sich die Tochter einmal in ihren Kopf gesetzt hatte, war dort für Jahre sicher, egal wer oder wie oft man es ihr auszureden versucht. "Ihr sagt doch immer, dass der Weihnachtsmann ein Engel ist. Dann kann er doch auch meinen Pukka lebendig machen!" Die Mutter, mit dem Blick für das Notwendige, stellt das Tellerchen mit der Butter und den Käse auf das Tablett. Der Vater, in der Familie üblicherweise für das Philosophische zuständig, richtet sich auf. "Damit ein Wesen lebendig ist, benötigt es eine Seele und einen Geist, der in ihm wohnt. Ich glaube kaum, dass ein Engel es schafft, einen Geist zu überreden, in einen Stoffhund einzuziehen." Die Tochter blickt erschrocken, was dem Vater auch gleich einen vorwurfsvoller Blick der Mutter bescherte. Das mit dem Geist hätte er wohl besser nicht sagen sollen. Zum Glück sagt die Tochter aufgeregt: "Das Auto von Kai seinem Papa h a t einen Geist! Ich habe es selber erlebt. Es hat gesprochen und dem Papa immer gesagt, wo er langfahren soll. Es ist eine Frau!" Lachend blicken die Eltern erst sich an und dann zur Tochter. "Das ist ein Navigationssystem, mein Kind." Die Mutter schaut nicht ohne Stolz für soviel Findigkeit zu ihrer Erstgeborenen. "Es ist nur ein Computer, der alle Straßen, Plätze und Orte gespeichert hat." "Also sind Autos nicht lebendig?!" Die Tochter schlürft an ihrer Tasse Tee und blickt fragend zum Vater. "Nein", sagt dieser schmunzelnd, "Sie haben keine Gefühle, keinen eigenen Willen und können sich nicht vermehren. Sie tun immer nur das, was wir, die Fahrer und Führer des Autos wollen. Autos sind Roboter, nichts weiter."
"Haben Tiere Gefühle!?" Der Vater überlegt, ob die Tochter das wirklich wissen will oder eher das Heraustragen des Geschirrs verzögert. "Auch Tiere haben Gefühle. Hunde und Katzen sind mal gut gelaunt und mal bedrückt. Und wenn Hunde und Katzen Gefühle haben, dann wohl auch Käfer und Ameisen. Wenn Tiere krank sind, geht es ihnen ebenso schlecht wie uns Menschen. Den Fischen geht es bestimmt nicht gut, wenn sie an der Angel hängen oder wenn wir Menschen Abwasser in ihren Fluss leiten." Die Tochter schaut betroffen den Strauß Frühlingsblumen an, den sie heute morgen auf der Wiese gepflückt hat. "Haben Blumen auch Gefühle?" Der Vater sinkt langsam etwas ein, ein Anzeichen für intensives Nachdenken. "Möglich ist es. Wahrscheinlich tut es einem Baum weh, wenn wir ihn fällen. Auf der anderen Seite brauchen wir Menschen das Holz. Und wir könnten kaum noch unbeschwert durch den Wald oder über ein Wiese laufen, wenn wir bei jedem Schritt an die Gräser und Käfer denken würden, die wir gerade unter unseren Schuhen zerdrücken." Sein Blick fällt auf die Wiese, auf der gerade der Löwenzahl blüht. "Vielleicht ist es für eine Blume gar nicht so schlimm, eines Tages gepflückt zu werden, weil ja aus ihrer Wurzel oder aus dem schon verstreuten Samen nächstes Jahr wieder eine neue wachsen wird." "Ich finde es gemein, dass die Menschen die Tiere töten um daraus Essfleisch zu machen." Die Tochter blickt zur Mutter und trifft dort auf einen Ausdruck von Zustimmung. Der Vater, der selber schon oft versucht hat, in seiner Ernährung auf Fleisch zu verzichten, doch es nie lange eingehalten hat, weil es ihm schmeckt und seinem Körper gut tut, sagt: "Wir essen ja bereits nur selten Fleisch. Zum Mittag gibt es Fisch und Gemüse anstelle von Fleisch." Der Vater denkt an die Salami zum Abendbrot, von der gerade die Tochter sich täglich stapelweise auf das Brot legt. Er schmunzelt sie an. "Mache es dir nicht allzu schwer mit dem Fleischessen. Die Hälfe aller Tiere isst Fleisch. Wie würde es wohl dem kreisenden Habicht gehen, wenn du ihm ab heute Soja-Würfel verordnest!? Man kann es moralisch sehen, wie man will:" Er schaut auf, ob die Tochter noch zuhört. Sie tut es. "Fleischessen als solches ist nichts Schlechtes. Ansonsten wären alle Raubtiere schlechte Wesen. Unsere Tierhaltung jedoch, die quält die Tiere." Er blickt in die Runde. Doch die Frau ist schon auf halbem Weg in die Küche. So greift auch er zum Besteck und legt es als Zeichen seines nahenden Aufbruchs auf den Teller. Die Tochter lässt sich von dieser Anregung nicht beeindrucken. Ihren Kopf hält sie wieder geneigt. "Kann mein Pukka nicht wenigstens ein bischen mehr lebendig werden!?" Der Vater stellt seinen Teller wieder ab. "Das geht nicht", sagt er, "Entweder man ist lebendig, oder nicht. Es gibt kein Dazwischen." Nun greift auch die Tocher zum Besteck. "Ist Opa Heinrich auch ganz lebendig?", fragt sie beiläufig und erhebt sich mit ihrem Teller in den Händen. "Er redet nie und bewegt sich auch nicht viel. Und Kinder kann er doch auch keine mehr bekommen, oder!?" Der Vater zieht die Augenbrauen hoch. "Opa Heinrich ist noch ganz lebendig. Nur ist er schon alt. Die allerwenigsten Opas reden wie ein Wasserfall und springen auf dem Sofa herum." "Und was ist mit Tante Jana!? Von der hast du gesagt, dass du sie sehr gerne hast, weil sie so lebendig ist." Erschrocken blickt der Vater in die Küche. Die Mutter lässt gerade das Spülwasser ein. "Das ist etwas anderes", sagt er leise zur Tochter, "Alle Menschen sind gleich lebendig, doch Tante Jana ist zudem noch eine Frohnatur." Beide tragen ihre Teller in die Küche. "Wenn schon mein Pukka nicht lebendig werden kann, dann möchte wenigstens ich immer ganz viel Lebendigkeit in mir haben." Die Augen der Tochter leuchten verschmitzt. "Tschüss, ich gehe jetzt raus." Sie stellt ihren Teller ab und verschwindet im Flur. "Das Altkluge hat sie von dir", erklärt die Mutter und reicht ihrem Mann das Geschirrhandtuch. www.jahnna.de |
||||||