inspiration 07


 
 

Auch in der deutschen Sprache gibt es heilige Wörter. ("Heilig" = ein heiler Zustand, vollkommen, ohne Trübung oder Makel)


"erleuchtet" ist solch ein heiliges Wort. In unserem täglichen Tun und Handeln hat es keine Verwendung. Und doch kennt jeder von uns dieses Wort. Es beschreibt einen vollkommenen Zustand jenseits unserer Vorstellungskraft.

"erwachen" ist ebenso ein heiliges Wort. Manch eine oder einer mag es poetisch als "aufwachen" verwenden. Doch Erwachen ist mehr als reines Wach-Werden aus dem Schlaf. Sonst hätten wir auch nicht zwei Worte dafür. "erwachen" meint ein plötzliches Entstehen, ein Geweckt-Werden von z. B. Gefühlen oder "sich des Lebens und seiner Forderungen bewusst werden" [Wahrig, Deutsches Wörterbuch]. Im spirituellen, esoterischen Gebrauch meint es das Durchdringen eines uns umgebenen Scheins, das Erkennen des vollkommenen Zustands und damit ein Schritt auf dem Weg zur Erleuchtung.

"erhaben" ist ein weiteres heiliges Wort. Eine Erhabene oder ein Erhabener wird nicht berührt von z. B. Klatsch oder Alltagssorgen. Er oder sie ist geistig erhöht über die Umgebung oder "über jeden Tadel, jeden Verdacht erhaben" [Wahrig]. Mit "erhaben" meinen wir einen Besitz, der nicht weltlicher Natur ist. Einen geistigen Zustand, den man nicht in der Schule lernen kann oder mittels weiterbildenen Büchern.

"Erfüllung" ist ein heiliges Wort. Wer von uns möchte nicht erfüllt sein von seinem Tun oder idealerweise allein vom Dasein!? Erfüllung ist ebenso wie Erleuchtung ein vollkommener Zustand. Was gibt es für uns noch mehr zu erreichen, wenn wir erfüllt sind!?


Es fällt auf, dass diese Worte alle mit derselben Vorsilbe beginnen: "er". In unserer Sprache machen wir einen Unterschied zwischen dem "leuchten", dem "beleuchten" und dem "erleuchten". Ebenso zwischen dem "Haben" (Besitzen) und dem "Erhaben"-Sein. So können wir etwas "befüllen" oder selber "erfüllt" sein. Was jedoch ist es, was da in der Fülle in uns ist?? Weder nach dem Besuch eines Seminars oder einer Gastwirtschaft verwenden wir das Wort "erfüllt".


Die betrachteten Worte sind keine neuzeitlichen. Sie entstanden vor vielen Jahrhunderten und damit in einer Zeit, in der die Vorstellung von einem männlichen Gott als Schöpfer der Welt und allem Lebendigen galt.

Es ist naheliegend anzunehmen, dass mit der Vorsilbe "er" Er gemeint ist: Gott, das Leben selbst, die schöpferische Urkraft allen Seins.

Schauen wir, ob es Sinn ergibt.


Wir werden geboren. Unsere Eltern zeugen uns, doch sie stellen uns nicht her. Die Natur selbst er-zeugt uns. Wir wachsen und unsere Eltern er-nähren uns.

Mit dem "er" als Vorsilbe werden einfache, einmalige Tätigkeiten umfassender und tiefgreifender: Beim "Nähren" geben wir jemandem Nahrung, beim "Ernähren" tragen wir die Verantwortung für seine oder ihre Nahrungsversorgung. Wir können eine Tür "öffnen" oder ein Lokal "eröffnen", "arbeiten" oder etwas "erarbeiten", einen Turm aus Bauklötzen "bauen" oder etwas "erbauen", etwas "finden" oder dauerhaft und für alle "erfinden". Ebenso umfassender und tiefgreifender als das Kernwort ist das "Erdichten", "erdulden", "erfassen", "erforschen", "erfüllen" (s.o.), "erleben", "erleiden", "erlernen", "erlösen", "ermessen", "ernennen", "erneuern", "erniedrigen", "erpressen", "errichten", "erschaffen", "ersetzen", "erstrecken", "erteilen", "ertragen", "erwachen" (s.o.), "erwählen", "erwarten", "erzählen" und "erziehen".


Eltern er-ziehen ihre Kinder. Sie selber sind er-wachsen, d.h. der vollkommene Zustand hat in ihnen bereits einen größeren Raum eingenommen als bei den Kindern. Deshalb ziehen sie auch ihre Kinder zu Ihm.

Manche er-wachen eines Tages aus dem Schein (s.o.). Nun sind sie sich Ihm, dem vollkommenen Zustand, dauerhaft bewusst.

Glücklich sind die Er-habenen, denn nun wohnt Er dauerhaft in ihnen. Die Er-leuchteten sind so sehr vom Vollkommenen durchdrungen und ohne jegliche Schale und Trübung, dass Sein Licht aus ihnen leuchtet.

Manche sind vom Leben er-wählt, er-mächtigt oder er-koren, besonderer Werke zu er-stellen oder er-bauen. Wobei es dann Er ist, der stellt und baut.


Mit dem "er" als Vorsilbe wird aus manchem unauffälligen Zustand oder Geschehnis etwas Bedeutsames, Gewichtiges: Oft bitten wir um etwas, nur selten "erbitten" wir. Fast ständig blicken wir auf etwas, nur selten "erblicken" wir etwas. Vieles blüht, doch groß ist unsere Freude, wenn etwas "erblüht". Wir "ergreifen" nicht den Kugelschreiben, sondern eher das Wort, die Macht, Gelegenheit oder einen Beruf. Ebenso ist es mit dem "Erfreuen, "erhalten", "erheben", "erhellen", "erhoffen", "erlangen", "erlesen", "erleiden", "erlernen" und "erstaunen".

Vollkommenheit ist etwas Absolutes. Auch in zeitlicher Hinsicht. Wir können versuchen, jemandes Redefluss zu drosseln. Wenn wir sie oder ihn jedoch "erdrosseln", wird nie wieder ein Laut über seine oder ihre Lippen kommen. Ebenso endgültig ist das "Erdolchen", "erfrieren", "ergrauen", "erhängen", "erlassen", "erlauben", "erliegen", "erlöschen", "erlösen", "ermorden", "erobern", "erraten", "erreichen", "erretten", "erschießen", "erschlagen", "erschließen", "ersetzen", "erstarren", "ertauben", "ertrinken" und "erwürgen". Für die Vätern unserer Sprache scheint der Tod etwas Absolutes zu sein oder eng mit Gott zu tun zu haben.


Mit jeder Er-fahrung fahren wir zu Ihm. Ein Er-lebnis ist nur deshalb eines, weil Er das Leben selbst ist. Die Er-folgreichen gehen mit dem Leben direkt vor ihnen. Und wenn wir er-kältet sind, dann ist das Lebendige in uns abgekühlt und wir zu weit vom Weg abgekommen. Nach einem Tag Tee und Bettruhe finden wir wieder zu uns.


Wohl niemand glaubt heute noch, dass ein einzig existierender Gott, das ALLES, das Leben als Ganzes und alles Lebendige rein männlich ist.

Unsere Sprache und unser Glaube ist über mehrer Jahrtausende von Männern geprägt worden. Denen scheint diese Vorstellung gefallen zu haben.




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